
Adoptiv Oma
Während meines langjährigen Aufenthaltes in China hatte ich einige Wechsel des Wohnsitzes aus unterschiedlichen Gründen.
Zu allererst bewohnte ich ein Zimmer mit eigenem Bad, die Küche war gleichzeitig die Kantine der Firma, die damals nur aus 7 Leuten bestand. Wir hatten Paterre eine große Wohnung angemietet und ein Teil davon war meiner privaten Nutzung zugeteilt. Es war der Beginn meiner intensiveren Zeit in China, zuvor hatte ich immer für einige Wochen in einem Hotel gelebt. Dieses Appartment war gut gelegen, mein Zimmer hatte eine Türe zum Garten, was ich morgens zur Ausfahrt mit meinem Montenbike nutzte. Der nicht weit entfernte Park mit vielen Teichen und kleinen Brücken lud zum radfahren ein, obwohl es eigentlich untersagt war im Park zu radeln. Aber es gab keine Aufsicht zur frühen Morgenstunde und in der 10 Millionen Stadt begegnete mir nur gelegentlich ein und derselbe Mann mit seinem Hund.
​
Die Firma wuchs, mietete einen großen Platz in einer Kartonagefabrik in Wuxi, respektive in einem industriellen Vorort, genau zwischen Suzhou und Wuxi gelegen und ich musste mir eine neue Wohnung suchen. Es fand sich eine in einer guided Community in der Nähe, ich war froh im selben Stadtteil bleiben zu können, wo ich mittlerweile die Restaurants und Einkaufszentren kannte und vor allem die Busverbindungen und den Namen meiner Wohnsiedlung so genau aussprechen konnte, daß der Taxifahrer mich heim bringen konnte. Was zu Anfang durchaus nicht immer klappte, es gab ein Hotel mit gleichem Namen und wenn ich nicht Siedlung anfügte und das wiederholte, landete ich als Ausländer immer im Hotel. Die Wohnung war nett möbliert, drei Zimmer im dritten Stock, was natürlich immer bedeutede das Bike drei Treppen hoch zu tragen. Aber ich hatte viel Besuch in dieser Wohnung und es gab einen Taxistand am zweiten Eingang, vor dem immer Taxis standen, die auf Kunden aus dem gegenüber liegenden Etablissement warteten, wo 500 Girls auf 5 Etagen auf Kunden warteten und wo ich auch gelegentlich Kunde war. Auf jeder Etage arbeitete eine "Mami", die das Leben dort organisierte und auf der vierten Etage eine aus der Mongolei, die mich offensichtlich - oder vielleicht meine Euros - ins Herz geschlossen hatte und immer mongolisch aussehende Girls mir zur Wahl stellte, die im Gegensatz zu den Chinesinnen, große Augen hatten. Bemerkung am Rande: Viele Chinesinnen lassen sich die Augen vergrößern - natürlich nur die Schlitze entfernen, die Augen kann man logischerweise nicht vergrößern, aber das Aussehen sehr wohl. Das , wenn sie es sich leisten konnten, in Korea, dem Land, das in Asien für plastische Chirurgie einen Namen hat oder eben , weniger gut aber preiswert in China. Manchmal auch das Kinn markannter machen und ich hatte, nach den vielen Jahren in China einen Blick für diese Gesichter, die meist nicht mehr harmonisch wirkten.
​
Die Wohnsiedlung war aber auch durchsetzt mit Ausländern , offensichtlich beliebt oder der Wohnungsmakler hatte gute Kontakte zu ausländischen Niederlassungen, viele arbeiteten bei Bosch und wurden im Bus jeden Morgen abgeholt. Es war nicht so recht China, wie ich es mir wünschte und wie ich es mir, infolge verbesserter Sprachkenntnisse erlauben konnte. Außerdem machten sich in meiner Abwesenheit , ich war oft wochenlang in China unterwegs und manchmal monatelang im Ausland, Kakerlaken breit, die unter und hinter dem Kühlschrank lebten, aber eben sich auch andere Teile der Wohnung eroberten. Trotz aller Gegenmaßnahmen konnte ich die Plage nur auf einem gewissen Level halten, ausrotten ließ sie sich nicht. Gift war auf die Dauer unwirksam, erschlagen sollte man die auch nicht, Klebefallen waren schnell voll, das Beste war noch nachts plötzlich aufzutauchen und mit dem Staubsauger möglichst viele wegzusaugen.
​
Aber ich schaute mit nach einer neuen Wohnung um, gab die alte auf und zog für ein paar Monate in ein Appartement in der Firma in Erhu , am Rande von Wuxi. Das Leben dort beschreibe ich in einem eigenen Teil , zunächst bleibe ich in Suzhou.
Ich schaute mich um nach einer Wohnung inmitten von einfachen Leuten, wo da chinesische Leben pulsiert und man in einer Umgebung sich befindet, die nicht von Expats (in China lebenden Ausländern, die von Firmen dorthin abgestellt sind) durchsetzt ist und wo es richtig chinesisch zugeht. Mir war schon klar, daß es in Bezug auf Hygiene und Ruhe da eher schlecht bestellt ist, aber ich wollte mich so richtig chinesisch fühlen, insbesonders , wo meine Möglichkeiten der Verständigung sich gut verbessert hatten.
Nun gibt es in Suzhou eine Strasse, die einfach die 10te genannt wurde und ich der ich langweilige Abende interessant zu gestalten wußte. Die Straße war etwas Besonderes, es gab viele Geschäfte von einfach bis luxuriös und viele Bars ebenso , von ordentlich und jung bis schrecklich und versifft, aber autentisch. Und wenn man so regelmäßig dort auftaucht wird man bekannt. Ich schaffte das über meine Gewohnheit immer dasselbe Bier aus der Flasche zu trinken - Corona - das heute einen schalen Beigeschmack hat durch das gleichnamige Virus, dazumal aber Hygiene versprach, das es aus der Flasche getrunken wird, ohne als Prolo zu gelten. Das war auch in China so und auf die Scheibe Limette verzichtete ich aus Gründen der Sauberkeit. So bekam ich den Namen Corona - chinesisch ausgesprochen Colona, weil die eben aus dem R ein L machen. Da hatte ich einmal eine harrsche Diskussion mit einem eigentlich gebildeten Chinesen, der einfach nicht glauben wollte, das die damals renomierte amerikanische Handyfirma nicht Motollola, sondern Motorrola hieß.
Also in einer Bar war ich besonders oft, kannte die Besitzerin im Verlaufe der Besuche recht gut und diese vermittelte mir eine Wohnung nicht weit von entsprechender Straße, Carla . so nannte sich die Barbesitzerin für die Ausländer hatte bestimmt auch ihr eigenes Geschäft im Auge, wenn sie mich so nahe an ihrer Bar unterbringt. Aber die Wohnung war genau nach meinen Vorstellungen, wenn auch die Möblierung schon recht verschlissen war, aber Möbel und Sofa auszutauschen war in China nicht wirklich teuer. Sie lag in dritten Stock in einer Reihe von vierstöckigen Reihenhäusern, war in der zweiten Reihe hinter der breiten Autostrasse, gegenüber befand sich ein Publik Garden. Guei hua gung yuan , sehr weitläufig und an Kanälen gelegen, was aber in Suzhou nicht so besonders ist, denn die ganze Stadt ist von Kanälen durchzogen. Das überqueren der breiten Strasse war jedoch ein Abendteuer, trotz Zebra Streifen, den in China ohnehin Niemand beachtet.
​
Die Reihenhäuser waren durch große Bäume getrennt, sodaß man nicht in die gegenüberliegenden Wohnungen sehen konnte. Leider hat man , um Parkplätze zu schaffen, diese noch in der Zeit in der ich dort wohnte gefällt und die freundliche Atmosphäre war dahin. Die ganzen Wohsiedlungen, eigentlich sind die ganzen chinesischen Städte in Wohnsiedlungen unterteilt, die mit einer Mauer abgeschottet sind und die man nur über eine bewachte Eingangspforte erreichen konnte. Es gibt meist eine Schranke, die offen steht, einen Pförtner, der aber nicht bewacht sondern nur schaut. So war es auch in Fu Yuan shiao Xu, wie meine Siedlung hieß, an deren Ausgang es aber einen Schuhmacher, der natürlich auf der Straße arbeitete, einen Nudelshop, einen Zigarettenladen - die Chinesen sind starke Raucher -und andere kleine Geschäfte gab, auch einen Spielsalon , verdeckt etwas, da illegal aber toleriert, für Karten und Majiang Spiele wo doch rechte Summen auf den Tischen lagen, wie ich manchmal heimlich durchs Fenster sehen konnte. Überhaupt sind die Chinesen große Spieler. In allen Parkanlagen, auf Mauern und auf einfachen Hockern sitzen die Spieler , meistens mit Karten beschäftigt , aber eben auch Majiang und Go. Gelegentlich auch Frauen dazwischen. Kleine Spielsalons mit eine paar Tischen und nicht so ganz einsehbar gab es überall in den engen Gassen der Stadt.
​
Meine Siedlung hatte auch einen bewachten Abstellraum für Fahrräder und Elektroroller, wobei Raum schon mehr eine langgestreckte Halle war und man mußte einen Platz mieten. Bewacht von einem alten Ehepaar, die auch im etwas abgetrennten Büro wohnten und von der Türe kochten.
​
Ich war natürlich schnell bekannt in der Siedlung, ich war der einzige lao wei (Fremder) und fiel natürlich auf. Aber die Leute waren freundlich, ich war es auch, redete mit der Verwalterin, bevor ich das Tor passierte. Die Wohnung hatte nur einen gravierenden Nachteil. Die Eingangstüre zum Treppenhaus war mit einen Tor versehen, das eiserne Stäbe umschloß und das, wenn man es aus der Hand fallen ließ, was die Chinesen standardmäßig taten , die in den anderen Wohnungen lebten, mit lautem Dong ins Schloß fiel. Aber Lärm ist in China Teil des Lebens und in Restaurants ist es meist so laut, daß man schreien muß um sich zu verständigen. Ein Beispiel kann das unterlegen, nämlich die Frage: Wie schnell darf man mit den Auto noch fahren wenn die Hupe ausgefallen ist? Die richtige Antwort lautet: 20 km/h. Ich habe mir das nicht ausgedacht, ich mußte das lernen, denn ich hatte den Versuch gemacht, die Fahrerlaubnis in China zu erwerben. Ich hatte es nicht geschafft, aber das erzähle ich an anderer Stelle.
Der Treppenaufgang zu meiner Wohnung im dritten Stock war gelinde ausgedrückt , gewöhnungsbedürftig, da die Treppen in den drei Jahren , in denen ich dort lebte, nie gereinigt wurden und ich selbst hätte mich sicherlich mehrfach übergeben müssen, wenn ich das hätte selber machen sollen. Aber ich hatte mir eben ein chinesisches Chinesenviertel ausgesucht und das war eben der Preis dafür. Bekannte und Besucher aus Deutschland atmeten immer auf, wenn sie im meiner Wohnung standen, sie zeigten sich erleichtert, daß hinter meiner Wohnungstüre ein ganz ordentliches und sauberes Appartment lag, mit zwei Schlafzimmern, einem geräumigen Wohnzimmer mit angeschloßener Küche, zwei Bäder und einem Büroraum. Der Balkon war komplett verglast und diente als Trockenplatz für die Wäsche, offen wäre der Straßenlärm sicherlich unterträglich gewesen. Sommers ist es in Suzhou bis 40 Grad warm und feucht, aber selbst dieses ältere Appartment hatte in jedem Raum eine Klimaanlage.
Klimaanlagen sind selbst bei ganz armen Leuten zumindest in einem Raum installiert, aber mein Appartement hatte deren vier mit einem Anschlusswert von sicherlich 14 KW, bessere Wohnung haben deutlich mehr und das Appartement das ich später kaufte hatte allein für das Klima 34 KW Anschlußwert. Wo der ganze Strom für alle diese Anlagen herkommt, ist mir bis heute ein Rätsel und die Wohnblocks, wie die in dem mein gekauftes Appartement sich befand, hatte 24 Wohnungen , alle voll klimatisiert und das Zuleitungskabel hatte sich einen enormen Durchmesser.
​
Aber noch wohnte ich in Fujian Xiao Ju im dritten Stock und Parterre, neben meiner lärmenden Türe zum Stiegenhaus befand sich eine Art Verschlag, eine Eisentür mit einem kleinen Fenster, dahinter ein oder zwei Räume, ich war selbst nie drin, aber die wurden bewohnt von einer alten Frau mit wenig Zähnen im Mund, Sie daß tagein tagaus auf einen hölzernen Schemel neben ihren Eisentüre ,manchmal putze sie etwas Gemüse, machmal wusch sie in derselben Schüssel Wäsche. War winters dick verpackt, denn es gab dort keine Heizung und sie saß immer nur vor sich hin, Niemand besuchte sie oder sprach mit ihr. Ich fand einfach, daß sie ein trauriges Leben führte, eingenlich nur auf den Tod wartend und das Leben fristend. Aber sie hielt eisern durch , bestimmt nicht, weil ich manchmal einen Pack haltbare Milch vor ihre Türe stellte oder ein dicke warme Jacke für sie kaufte. Als es einen Winter lang besonders lange kalt war, schenckte ich ihr einen Elektroofen, aber den hat sie vermutlich nie benützt. Ich habe später in diesem Appartment mit einer Freundin gewohnt - heute meine Ehefrau . und auch sie hatte dieselben Gefühle für diese alten Frau, die wir quasi als Adoptiv Oma empfanden. Später, als wir schon einige Jahre an einem anderen Platz wohnten, sind wir manchmal an ihrer Kellerwohnung vorbei gegangen, um zu sehen, ob es sie noch gibt und waren immer erleichtert festzustellen , da0 sie immer noch lebte. Sie war damals schon über 80, ein gutes Alter in China. Jetzt , wo ich diese Zeilen schreibe, nochmals 5 Jahre später, wird es sie wohl nicht mehr geben, aber ich bin sicher, wenn wir wieder in Suzhou sind, werden wir an ihrem Keller vorbeigehen und schauen.
