
Familie - Fortsetzung II
Habe ich viel über das alte Bauernhaus und meinen Opa geschrieben, so will ich zu meinen Eltern kommen. Die waren einfach Klasse und ich wüsste nicht, wo ich mich auch nur in einem Punkt zu beklagen hätte. Sicherlich sieht man das als Kind und als Heranwachsender vor Ort manchmal anders, aber das ist eben Erziehung, als deren Endprodukt ich diese Zeilen schreibe. Fast hätte ich geschrieben, zu Papier bringe, aber das ist es ja heute nicht mehr und meine Enkelkinder werden diesen Ausdruck schon garnicht mehr verstehen.

Mein Vater war immer mehr Kamerad für mich als Erzieher und viele seine Gewohnheiten und Fähigkeiten sind einfach irgendwie auf mich übergegangen, Das ist vermutlich nicht genetisch , sondern durch Vorbild und vormachen passiert und auch einfach abschauen. Wir haben, als ich schon etwas älter war, zusammen Bäume gefällt, Obst geerntet und Garten umgegraben. Aber auch Dinge, die nicht so den vornehmsten gehörten, wie die Scheisse aus dem Plumpskloo ausgschöpft und im Herbst in Furchen im Gemüsegarten geschüttet, damit die Scheisse über Winter wieder zu Dünger werden konnte. Direktes recycling würde man heute sagen, aber es allerhöchsten automatisiert machen lassen. Im Frühjahr haben wir den Gemüsegarten angelegt, Bohnenstange "gestickt" wie das hieß, ich kenne keine Übersetzung ins Hochdeutsche. Dafür hatte man ein Stickeisen, das mit einem Lederband am Fuß befestigt wurde, ein Haken griff um die Holzstange und man stieg mit seinem ganzen Gewicht auf das Eisen, das dann die Kraft auf das Holz übertrug und so in den Boden rammte. Und das schön in Reihen. Mein Vater spannte eine Schnur, daß die Bohnenstangen akurat in Reihe standen. Wir pflanzen alle Arten von Gemüse, Kohl für den Winter, Kartoffeln, Gurken und Zichorie. Das sind dann Wurzeln, die man ausgräbt, in Sand einschlägt und im Winter warm stellt und gießt. Was erhält man dann: Chikoree Salatstangen.
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Ich lernte Bäume schneiden und Obst ernten, Leitern in Bäume so stellen, daß sich diese nicht wegdrehten und überhaupt wie stellt man eine große Leiter alleine auf, meint ohne zweite Person. Also musste ich als Kind auch immer mit anpacken, Kirschen pflücken, Pflaumen, Äpfel und Birnen, die wir dann auf einen Fahrradanhänger ins nächse Dorf fuhren und einer Obstvermarktungsgesellschaft übergaben, die uns dann, ende des Jahres Geld dafür überwiesen, von dem ich meinen Anteil bekam. So lernte ich schon früh harte Arbeit - guter Lohn.
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Geld war in dieser Zeit bei meiner Familie knapp, aber wir kamen mit viel Eigenhilfe über die Runden. Arbeit gab es zunächst nicht für meine Eltern, sie halfen auf dem Bauernhof. Mein Vater hatte keine Ausbildung. nach der Schule arbeitete er einige Jahre bei seinem Vater, der eine Kiesgrube betrieb und Sand und Schotter verkaufte und wurde von dort eingezogen, zuerst zum Reichsarbeitsdienst und dann, da der Krieg ausbrach, zu den Soldaten. Er diente in einem Artillerieregiment in Freiburg, kam im Krieg an vielen Plätzen zum Einsatz, er diskutierte seine Erlebnisse mit Freunden, die wie er im Krieg waren und ebenfalls überlebten und ich saß dabei und sperrte meine Ohren auf. Also weiß ich einiges über seine Einsätze. Er kämpfte zuerst in Belgien und Frankreich, wurde dann an die Ostfront verlegt, redete von der Krim und Einsätzen in Rumänien. Er hatte das Glück, man muß es im nachhinein so bezeichnen, daß er verwundet wurde und zur Genesung nach Deutschland musste. Von dort ging es nicht wieder zu seiner alten Einheit an die Ostfront, sondern nach Italien, wo neue Einheiten aufgestellt wurden. Dort kam er dann in amerikanische Gefangenschaft und 1948 heim zu Frau und dem schon 4 jährigen Bernd. Von seiner alten Einheit kehrten aus Rußland nur sehr wenige heim. wie er mir vom Ehemaligentreffen in den 5oer Jahren berichtete, das in Freiburg statt fand. Es gab einen Schuhkarton von schwarz weiß Photos aus seiner Militärzeit, aber die zeigten Soldaten ohne Landschaft oder Hinweise wo die aufgenommen waren. Meine Mutter hatte die nach dem Tode meines Vaters entsorgt.
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Also nach 1948 war es schwer Arbeit zu finden und erst ein paar Jahre später konnte mein Vater in einer Textilfirma anfangen, wo er sich vom ungelernten Arbeiter bis zum Werkmeister empor arbeiten konnte. Meine Mutter fand eine Halbstagstelle im Büro einer kleinen Maschinenfabrik und so kam der Aufschwung auch bei uns an, auch wenn er nur bescheidene Ausmaße annahm.
Meine Großeltern väterlicherseits habe ich zwar kennen gelernt, aber sie wohnten in einem anderen Teil des Dorfes in einem Haus, das gemeinhin als das "Große Haus" bezeichnet wurde, ein Gebäude aus dem Mittelalter, das damals schon in Eigentumswohnungen unterteilt war, obwohl das zur damaligen Zeit noch garnicht erfunden war. Sie wohnten Parterre links und hatten eine Hochparterre Wohnung mit dabei. Mein Großvater war ein Original, im ganzen Dorf bekannt, er machte zu allen Ereignissen , die sich im Dorf abspielten, ein Gedicht, das er dann beim nachmittäglichen Wein trinken im Wirtshaus zum Besten gab und das dann viele Mitbürger auswendig konnten, zumindest Teilen davon. Er hat niemals etwas aufgeschrieben, er meinte , das sei nur aktuell witzig und er hat Recht behalten. Die Leute erinnern sich noch , die alten so wie ich , an den Kreutner Berti, und seine Gedichte, aber aufsagen kann die Niemand mehr.
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Er war damals der Verwalter des Lagerhauses, in dem die Bauern ihren Kunstdünger und die Saatkartoffeln einkauften, sich das Getreide rot beizen ließen - heute weiß ich daß das Gift war, damit die Körner im Boden nicht faulten oder von den Mäusen gefressen werden, aber damals war das einfach für mich rot einfärben. Er stellte auch in großen Zubern giftige Brühe her, die die Bauern in Tankwagen abholten und die Weinreben damit spritzten - gegen Reblaus und Pilzerkrankungen. Mein Dorf war vom Weinanbau gekennzeichnet, Milchbauern gab es immer weniger.
Von meiner Großmutter ist mir geblieben, daß sie wunderbare Dampfnudeln machte, immer dann , wann ich mein kommen lang genug im Voraus ankündigte und daß wir Mensch ärgere Dich nicht spielten.
Die Kreutners , die Familie meines Vaters und die Wehrers, die Familie meiner Mutter haben eine lange Tradition im Dorf, lassen sich Generationen weit zurückverfolgen, weil die Heiratskandidaten so gut wie immer aus dem Dorf oder den umliegenden Dörfern kamen. Ein engagierter Schullehrer hatte sich mit vielen freiwilligen Helfern, zu denen ich auch eine Zeit lang gehörte, eine Dorfchronik erstellt, die als Buch gedruckt wurde und die in fast allen Haushalten vorhanden ist und nur der "Spion" genannt wird, weil man da Geburtstage und Verwandtschaftverhältnisse nachschlagen kann. Diese Art von Chroniken sind aber heute aus Datenschutzgründen verboten, aber erfüllen bei den Alteingesessenen noch immer ihren Zweck.
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Zur Familie meines Vaters hatte ich nicht so intensive Beziehungen wie zu denen mütterlicherseits. Mein Großvater hatte viele Brüder und eine Schwester, die nach Frankreich heiratete, ins Elsaß, das halt gerade mal wieder deutsch war damals, und so kam ich zu Verwandten in Frankreich. Ich durfte manchmal in den Schulferien zwei Wochen zu eine Cousine, die hoch oben in den Vogesen lebte mit ihrem Mann, dem Schullehrer eine Zwergschule, in der die Kinder der umliegenen Fermen (Bauernhäuser) unterrichtet wurden, alle gemeinsam. Er war Lehrer und Bienenzüchter und so kam ich auch mit diesem Metier in näheren Kontakt und wollte immer selbst ein paar Bienenvölker haben. Mein Lebenswerk hat mir dies aber nie erlaubt und heute, mit 75 ist es wohl zu spät und man liest auch immer vom Bienensterben. Aber meine Lust auf guten Tannenhonig, wie es ihn in den Vogesen gibt und wie der Mann meiner Cousine ihn hergestellt hatte, ist geblieben und wenn ich manchmal in den Vogesen bin kaufe ich ein paar Gläser. Dabei ist der ja garnicht von Blüten sondern das Ausscheidungsprodukt der Fichtensikkatlaus, aber das muß man ausblenden, wenn man ihn aufs Brot schmiert.
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In den Vogesen, das Städtchen in dem meine Verwandten lebten und wo auch das hochgelegene Schulgebäude war, heißt Münster und es gibt den gleichnamigen Käse, der besonders hoch oben auf den Bergweiden in den Farmen hergestellt wird und der so grausig riecht , wie er gut schmeckt. Mit Kümmel und einer frischen Baguette, herrlich. Damals aber bekam ich auf der Heimfahrt mit dem Zug, man brachte mich in Colmar in den Zug nach Basel, wo mich meine Eltern abholten, ein Paket Münsterkäse mit . Gut eingewickelt , sogar in einer Plastiktüte. Wenn ich in Basel ankam , war ich allein im Abteil. Ich haßte diesen Käse damals aber heute liebe ich ihn und es gibt noch eine Steigerung: Warmen Münsterkäse auf Endiviensalat. Ich bestelle ihn immer beim wandern in den Vogesen und esse ihn draussen auf der Terasse.
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Die Familie wird, dem biologischen Gesetz folgend , immer kleiner, eine Cousine wurde gerade zu Grabe getragen, die väterlicherseits, die mütterlicherseits habe ich noch und zwei in Frankreich, aber das sind eingentlich Großcousinen, die Stammbäume haben sich altermäßig verschoben.
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Ein anderer Bruder meines Großvaters lebte in Maulburg im Wiesental. Auch dort war ich manchmal in den Ferien, spielte an der Wiese, dem Fluss im gleichnamigen Tal und fuhr viel mit dem Rad. Bei den damligen Verkehrsverhältnissen brauchte es noch keine Fahrradwege, der Autoverkehr war nicht so intensiv und es wurde viel langsamer gefahren, die Autos gaben einfach auch nicht soviel her und Rücksichtnahme war damals noch eine Tugend und keine Schwäche, als das sie heute angesehen wird.